Nutznießer über 1945 hinaus Marvin Brendel

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Mit finanzieller Unterstützung aus dem Reichsbohrprogramm stieß die Deutsche Petroleum AG, eine Tochterfirma der DEA, 1935 bei Gifhorn auf Erdöl.
Mit finanzieller Unterstützung aus dem Reichsbohrprogramm stieß die Deutsche Petroleum AG, eine Tochterfirma der DEA, 1935 bei Gifhorn auf Erdöl.
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Deutsches Erdölmuseum Wietze

Mit finanzieller Unterstützung aus dem Reichsbohrprogramm wurde bei Gifhorn 1935 nach Öl gebohrt.

Über 1945 hinaus: DEA und Wintershall als Nutznießer des Reichsbohrprogramms

Marvin Brendel

Agentur All About Assets, für Wintershall Dea

Der Startschuss für das sogenannte Reichsbohrprogramm fiel am 10. Januar 1934. Bei einem Treffen im Reichswirtschaftsministerium verkündete die Reichsregierung den anwesenden Vertretern der großen Erdölfirmen, darunter Bergassessor Günther Schlicht für die Deutsche Erdöl Aktiengesellschaft (DEA) sowie Direktor Curt Beil von der Wintershall AG, dass der Staat die deutschen Ölunternehmen künftig bei der „planmäßigen Aufschließung neuer deutscher Erdölgebiete“ finanziell unterstützen würde.

Dazu übernahm der Staat für ausgewählte „Reichsbohrungen“ die Hälfte der reinen Bohrkosten. Nur wenn sich eine Bohrung als wirtschaftlich fündig erwies, sprich hier eine Förderung wirtschaftlich lohnend war, wandelte sich der staatliche Zuschuss in ein Darlehen, das die Unternehmen verzinst aus den Erträgen der Förderung zurückzahlen mussten. Flankiert wurde das Reichsbohrprogramm noch 1934 durch einige neue Gesetze. Zu den wesentlichen Neuerungen zählte dabei die Aufhebung des Grundeigentümerrechtes auf Erdöl, Erdgas und Bitumen und die Einführung des Staatsvorbehalts auch auf solche Rohstoffe. Hier vergab nun der Staat Konzessionen für größere Gebiete.

 

Steigender Bedarf nach Erdöl

Das Reichsbohrprogramm fußte schon auf der Arbeitsbeschaffungspolitik der Nationalsozialisten zu Beginn der 1930er Jahre, als sie die deutsche Erdölerzeugung durch eine Verstärkung der Bohrtätigkeit heben wollten. Die Idee korrespondierte nicht nur mit dem grundsätzlichen Streben nach Autarkie und der Rohstoffsicherung für den Kriegsfall, sondern auch mit der ebenfalls angestrebten Förderung des Kraftwagenverkehrs und dem Ausbau des Straßennetzes – Maßnahmen, die mit einer erhöhten Nachfrage nach Kraftstoffen und bituminösen Baumaterialien für den Straßenbau einhergingen. Daraus ergaben sich höhere Importe von Rohöl und Ölprodukten, was wiederum einen vermehrten Devisenaufwand bedeutete. Die deutsche Erdölförderung war zwar in den 1920er Jahren von 35.026 auf 103.306 Tonnen angestiegen, doch hierfür war vor allem die Ausweitung der Förderung in den zwei größten, schon länger bekannten Ölrevieren Nienhagen und Wietze verantwortlich. Zudem blieb die deutsche Förderung weiterhin gering im Vergleich zum Verbrauch. Die Lücke schlossen Ölimporte, die sich allein 1929 auf gut 2,7 Millionen Tonnen beliefen.

Die Zahl der Reichsbohrungen von 1934 bis Mai 1945 schwankt je nach Quelle zwischen 643 und 776 – abhängig insbesondere davon, ob nur das „Altreich“ oder auch die später „angeschlossenen“ beziehungsweise eroberten Gebiete in der Statistik berücksichtigt wurden. Ebenso schwankend sind die Zahlenangaben zu fündigen Bohrungen und den dadurch neu erschlossenen Öl- und auch Gasvorkommen. Neben der geografischen Abgrenzung ist hier die Frage entscheidend, ab wann eine Bohrung tatsächlich als fündig eingestuft wurde – ob schon beim Austritt kleinerer Mengen Öl oder Gas oder nur bei „wirtschaftlicher Fündigkeit“. 

 

DEA und Wintershall nutzten das Reichsbohrprogramm

Mehr Klarheit herrscht dagegen bei der Frage nach den größten Profiteuren des Reichsbohrprogramms: Allein bis Ende März 1944 hatten die vier Unternehmen Gewerkschaft Elwerath (an der Wintershall mit einem Drittel beteiligt war), DEA, Preußag und Wintershall mit deutlichem Abstand die meisten Bohrmeter „abgebohrt“ und die meisten staatlichen Zuschüsse bekommen. Zu diesem Zeitpunkt entfielen auf sie zusammen über 70 Prozent der bis dahin verzeichneten Bohrleistung von rund 635.800 Meter und gut 68 Prozent der Reichszuschüsse und ‑darlehen in Höhe von insgesamt rund 46,5 Millionen Reichsmark.

Nach einer neuen Auswertung verschiedener Quellen sind Wintershall und DEA direkt oder über Tochterunternehmen mindestens 286 Reichsbohrungen zuzuschreiben. An weiteren Bohrungen waren sie über Konsortien beteiligt, jedoch sind diese Zusammenhänge allein aus den Statistiken nur schwer nachvollziehbar. Von den fündigen Reichsbohrungen lassen sich mindestens 27 Bohrungen direkt Wintershall und/oder DEA zuordnen. Sie führten alleine im „Altreich“ – und nur dieses Gebiet wird hier betrachtet – zur Entdeckung von neun Erdöl- und zwei kleineren Erdgasvorkommen (wobei letztere auf dem Gebiet der späteren DDR lagen). An zwei weiteren neuen Erdölfeldern profitierten DEA und Wintershall über Konsortialpartnerschaften. 

 

Neue Standorte fördern über Jahrzehnte 

Unter den Funden waren einige sehr kleine Vorkommen wie etwa Tegernsee oder Hope-Adolphsglück, die nur sehr geringe Fördermengen lieferten, aber auch deutlich größere Felder, aus denen beide Unternehmen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch über viele Jahre oder gar Jahrzehnte fördern konnten. Hier ist bei der DEA vor allem das 1935 angebohrte Erdölfeld Heide in Schleswig-Holstein zu nennen, bei dem das Unternehmen erst 1992 die Förderpumpen abstellte. Als nicht ganz so ergiebig, aber immerhin noch bis 1956 in Förderung, erwies sich das ebenfalls 1935 von der DEA entdeckte Erdölfeld Gifhorn. 

Wintershall verzeichnete den bedeutendsten Fund aus dem Reichsbohrprogramm 1943 mit der Entdeckung des Erdölfeldes Emlichheim an der deutsch-niederländischen Grenze – es ist bis heute ein wichtiger Standort der heimischen Förderung von Wintershall Dea, an dem bislang mehr als elf Millionen Tonnen Erdöl aus der Erde geholt wurden. Ebenfalls länger produzierte Wintershall aus den 1937 und 1938 entdeckten Vorkommen Eicklingen und Meckelfeld/Stelle, die über ergänzend erschlossene Teilfelder jeweils bis 1993 förderten. Erwähnt werden soll hier zudem noch das Erdölfeld Aldorf, das den Grundstein für den noch heute zu Wintershall Dea gehörenden Standort Barnstorf legte. Es wurde zwar erst 1952 von Wintershall entdeckt, erste Anzeichen auf eine „Erdölhöffigkeit“ hatten hier jedoch schon Reichsbohrungen von 1944/45 erbracht.

Mit dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ endete auch das Reichsbohrprogramm. Mit ihm wurden während der Zeit des Nationalsozialismus Grundlagen geschaffen, die die Entwicklung von Wintershall und DEA wesentlich prägen sollten – auch noch weit über das Kriegsende 1945 hinaus. Der Wintershall AG, die überhaupt erst 1931 in die Ölförderung eingestiegen war, erleichterte das Reichsbohrprogramm den schnellen Aufstieg zu einem der führenden deutschen Erdölförderer. Bei der DEA, die sich nach dem Ersten Weltkrieg stärker dem Kohlenbergbau zugewandt hatte, sorgten die Funde durch das Reichsbohrprogramm für eine Rückbesinnung auf eine stärker Erdöl-orientierte Unternehmensstrategie. 

Nach 1945 halfen beiden Unternehmen die Erlöse aus der Erdölförderung in Emlichheim, Meckelfeld oder Heide zudem bei der Finanzierung des neuerlichen Aufschwung sowie ihrer 1954 einsetzenden Expansion ins Ausland. Insofern ist die Untersuchung des Reichsbohrprogramms und seiner Auswirkungen auf Wintershall und DEA eine wichtige Vertiefung bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der vereinten Wintershall Dea.

Marvin Brendel, Unternehmenshistoriker bei Wintershall Dea
Marvin Brendel, Unternehmenshistoriker bei Wintershall Dea
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Wintershall Dea/Guido Rottmann

Zur Person

Marvin Brendel arbeitet seit 2007 als freiberuflicher Wirtschafts- und Unternehmenshistoriker und hat unter anderem zur Geschichte der deutschen Genossenschaften und des deutschen Einzelhandels geforscht. Seit 2017 ist er über die Agentur All About Assets (Berlin) als externer Unternehmenshistoriker für Wintershall Dea tätig und hat verschiedene Facetten der Unternehmensgeschichte recherchiert und die Ergebnisse in Form von Artikeln, Broschüren, Ausstellungen und Vorträgen aufbereitet. Nach der Veröffentlichung von „Expansion um jeden Preis“ durch Manfred Grieger, Rainer Karlsch und Ingo Köhler hat Marvin Brendel zur Vertiefung der Erkenntnisse zur NS-Geschichte der Wintershall AG unter anderem zum Reichsbohrprogramm geforscht.