„Treibstoff für den Weltkrieg“: Studien zur DEA Geschichte im Nationalsozialismus veröffentlicht
- Buchvorstellung in Hamburg: Wirtschaftshistoriker legen umfassende Analyse zum Handeln der DEA zwischen 1933 und 1945 vor
- Archivgut von Wintershall Dea wird an das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darmstadt übergeben
- Stefan Schnell: „Das Unternehmen Wintershall Dea mag gehen. Die Verantwortung für die Geschichte bleibt.“
Opportunismus und kühles Gewinnstreben zeichnete das Handeln der Deutschen Erdöl Aktiengesellschaft (DEA) während der Zeit des Nationalsozialismus aus. Das Unternehmen begann bereits ab Herbst 1933 mit dem Ausbau seiner Heizöl- und Dieselproduktion für die Kriegsmarine und profitierte in der Folgezeit sowohl von der „Arisierung“ jüdischer Firmen als auch von staatlichen Programmen zur Aufrüstung.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs stieg die DEA zum wichtigsten deutschen Erdölunternehmen auf und beteiligte sich an der Nutzung von Erdölvorkommen in den besetzten Ländern. Dabei nahm die Unternehmensführung die Ausbeutung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern billigend in Kauf. Zu diesem erschütternden Schluss kommt das Buch „Treibstoff für den Weltkrieg: Die Deutsche Erdöl AG, 1933-1945“, das jetzt (14. November) in Hamburg vorgestellt wurde.
Das wissenschaftliche Forschungsvorhaben zur DEA wurde von der heutigen Wintershall Dea GmbH als Folgeprojekt der 2018 begonnenen Aufarbeitung der Firmengeschichte in der NS-Zeit in Auftrag gegeben und ab Februar 2022 von der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) umgesetzt. Die renommierten Unternehmenshistoriker Dr. Rainer Karlsch (Berlin) und Prof. Dr. Manfred Grieger (Georg-August-Universität Göttingen) führten in den vergangenen knapp drei Jahren für die GUG die Recherchen durch.
Die beiden Wissenschaftler präsentierten die wichtigsten Ergebnisse ihrer Studien jetzt öffentlich vor rund 60 interessierten Gästen am Hamburger Unternehmensstandort von Wintershall Dea. Im Anschluss diskutierten sie mit Maria Wilke (Leiterin der EVZ-Academy der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“), Prof. Dr. Detlef Garbe (früherer Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte) unter der Moderation von Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Walter Iber (Universität Graz) über die Aufarbeitung von Unternehmensgeschichte in der NS-Zeit sowie über die Verantwortung der deutschen Wirtschaft für die heutige Erinnerungskultur.
DEA profitierte von Aufrüstungspolitik
In ihrem Buch „Treibstoff für den Weltkrieg“ zeigen Rainer Karlsch und Manfred Grieger detailliert, wie stark die frühere DEA von der NS-Kriegswirtschaft profitierte. Die Deutsche Erdöl AG produzierte unter anderem große Mengen synthetischen Treibstoff aus Braunkohlenteer für die Kriegsmarine, deren Großaufträge gemeinsam mit staatlichen Krediten den Ausbau der DEA-Standorte im mitteldeutschen Braunkohlenrevier überhaupt erst möglich machten. Zudem wiesen die Autoren nach, wie sich das Unternehmen unter maßgeblicher Federführung von DEA-Vorstand Hans Gröber an „Arisierungen“ jüdischer Firmen beteiligte und wie es bis 1938 den jüdischen Vorstand Fritz Haußmann und mehrere jüdische Aufsichtsratsmitglieder entließ. Ein wesentlicher Aspekt der Studie ist darüber hinaus der Einsatz von zehntausenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die von der DEA sowohl im Deutschen Reich als auch in den besetzten Gebieten ausgebeutet wurden und 1944 mehr als ein Drittel der Belegschaft stellten.
Bereits zweites Projekt der Geschichtsaufarbeitung
Wintershall Dea hatte anlässlich des 125-jährigen Firmenjubiläums von Wintershall bereits Anfang 2019 ein Expertenteam der GUG beauftragt, die Geschichte des Unternehmens im Nationalsozialismus zu erforschen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind 2020 im Buch „Expansion um jeden Preis. Studien zur Geschichte der Wintershall AG zwischen Krise und Krieg, 1929-1945“ veröffentlicht worden. Sie belegen unter anderem, dass die Führung der damaligen Wintershall AG um Generaldirektor August Rosterg zum Teil eng mit der NSDAP und besonders mit dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, verstrickt war – und die Nationalsozialisten unter anderem mit Spenden aktiv unterstützt hat.
Die Folge-Studie zur Geschichte der DEA zeigt: Im Vergleich zu Wintershall hat die DEA-Führung zwar nicht derart offen mit den Nationalsozialisten sympathisiert. Sie hat sich aber auch nicht gegen deren Politik gestellt, wie Stefan Schnell, Vorsitzender der Geschäftsführung von Wintershall Dea, hervorhebt. „Die Manager haben geschwiegen und opportunistisch die sich bietenden unternehmerischen Gelegenheiten genutzt“, sagt Schnell. Beide Vorgängerunternehmen hätten von Geschäftsmöglichkeiten profitiert, die sich aus der NS-Aufrüstungs- und Kriegspolitik ergaben. So erhielt die DEA etwa im Rahmen des Reichsbohrprogramms Darlehen zur Erschließung neuer Erdölquellen, von denen der Konzern auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch profitierte.
„Mit der Studie zur Rolle der DEA und ihrer Bedeutung für die Treibstoffproduktion für den Zweiten Weltkrieg nimmt das Unternehmen seine Verantwortung gegenüber der Geschichte wahr“, sagt Dr. Andrea H. Schneider-Braunberger, Geschäftsführerin der GUG. „Denn der wirtschaftliche Erfolg basierte nicht zuletzt auf dem Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, wie es in der Studie anhand einzelner Standorte gezeigt wird.“
Umfangreiche Quellenrecherche im In- und Ausland
Für ihre Analyse haben Rainer Karlsch und Manfred Grieger Akten von 26 Archiven aus dem In- und Ausland ausgewertet. Auch Wintershall Dea stellte seine Aktenbestände ohne Einschränkung zur Verfügung. Während ein Großteil der Geschäftsunterlagen der Wintershall AG durch Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurde, ist bei der DEA eine große Zahl an Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus erhalten geblieben. Dadurch wurde ein tiefer Blick in das Handeln der Akteure möglich. Diese historischen Unterlagen der DEA sind Teil des Unternehmensarchivs von Wintershall Dea, das parallel zum Forschungsprojekt seit 2021 systematisch am Standort Kassel aufgebaut wurde.
Im September 2024 ist der Großteil der Aktivitäten des Unternehmens verkauft und an Harbour Energy übertragen worden. Die verbliebenen Unternehmensteile von Wintershall Dea sollen nun perspektivisch geschlossen werden. In diesem Zuge wird das Wintershall Dea Corporate Archive Ende des 1. Quartals 2025 an das Hessische Wirtschaftsarchiv e.V. in Darmstadt übergeben. „Auf diese Weise steht das Archivgut von Wintershall Dea der Forschung weiter zur Verfügung“, sagt Schnell. „Für uns ist klar: Das Unternehmen Wintershall Dea mag gehen. Die Verantwortung für die Geschichte bleibt.“
Beide Studien sind im Buchhandel erhältlich
Die ausführliche Studie „Treibstoff für den Weltkrieg: Die Deutsche Erdöl AG, 1933-1945“ von Rainer Karlsch und Manfred Grieger ist als gebundenes Buch (Hardcover, 445 Seiten, ISBN 978-3-95542-511-1) in deutscher und englischer Sprache im Societäts-Verlag erschienen. Es ist seit heute (15. November) zum Preis von 20 Euro erhältlich.
Auch die Vorgängeranalyse „Expansion um jeden Preis: Studien zur Wintershall AG zwischen Krise und Krieg, 1929-1945“ von Manfred Grieger, Rainer Karlsch und Ingo Köhler (Hardcover, 258 Seiten, ISBN 978-3-95542-378-0) kann weiterhin über den regulären Buchhandel bezogen werden.
Hinweis für Medien:
Eine Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie weiter unten. Gerne versenden wir bei Interesse ein Rezensionsexemplar von „Treibstoff für den Weltkrieg: Die Deutsche Erdöl AG, 1933-1945“ oder stellen einen Interview-Kontakt zu den Autoren her. Melden Sie sich dafür gerne bei Friederike Steensen unter den angegebenen Kontaktdaten.
Über Wintershall Dea
Das Energieunternehmen Wintershall Dea blickt auf eine lange Geschichte zurück. Jetzt wird das letzte Kapitel des Unternehmens geschrieben. Mit Wirkung zum 3. September 2024 wurde der Großteil der ehemaligen Assets und Lizenzen zu E&P und CCS des Unternehmens verkauft und an Harbour Energy übertragen. Zu den verbleibenden Assets der Wintershall Dea gehören die Beteiligungen an den Joint Ventures Wintershall AG in Libyen, Wintershall Noordzee BV in der südlichen Nordsee sowie die Anteile an Nord Stream und den Gemeinschaftsunternehmen in Russland. Zu den Aufgaben von Wintershall Dea gehört nun, das Unternehmen zu restrukturieren, die verbleibenden Vermögenswerte zu verwalten und zu veräußern und die endgültige Schließung des Unternehmens verantwortungsvoll umzusetzen. Wintershall Dea ist im Besitz von BASF und LetterOne.