Die Annexion von Österreich als Chance für DEA
Wiederaufstieg nach dem „Anschluss“: Die Deutsche Petroleum AG und die DEA in der „Ostmark“, 1938-1945
Dr. Rainer Karlsch
(freiberuflicher Wirtschaftshistoriker, Berlin)
In Österreich blieb die Erdölerkundung nach dem Ersten Weltkrieg privaten Investoren überlassen. Um deren Aktivitäten anzukurbeln, erließ die österreichische Bundesregierung 1921 ein Freischurf-Zuweisungsgesetz und modifizierte 1922 das Berggesetz, indem sie Erdöl und Erdgas vom Grundeigentum ausklammerte. Ein Freischurf umfasste eine kreisrunde Fläche mit einem Halbmesser von 425 Metern, deren Mittelpunkt der Standort des Schürfzeichens war. Der Besitzer musste eine jährliche Abgabe an die Bergbaubehörde entrichten und war verpflichtet, in diesem Gebiet mindestens eine Bohrung durchzuführen. Sofern die Bohrung fündig wurde, konnte er die Verleihung eines Grubenfelds beantragen. In diesem Fall wurde aus einem provisorischen Recht tatsächlicher Besitz.
Im Sommer 1934 wurde im Wiener Becken erstmals ein größeres Erdölfeld erschlossen. Dieser Erfolg weckte das Interesse ausländischer Ölkonzerne, deren Tochtergesellschaften in der Folgezeit den Großteil der Freischürfe erwarben. An Spekulationen interessierte Deutsche versuchten ebenfalls an Freischürfe zu kommen und wurden bei ihren Bestrebungen von den Reichsbehörden unterstützt. Die DEA, bzw. ihre Tochtergesellschaft, die Deutsche Petroleum AG (DPAG), interessierte sich zu diesem Zeitpunkt nicht für die Erdölprospektion in Österreich.
DEA befasste sich widerstrebend mit Prospektion in Österreich
Unmittelbar nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 drängte das Reichswirtschaftsministeriums die DEA zur Übernahme von Freischürfen, die zuvor vom zwielichtigen Berliner Kaufmann Karl Eugen Schmid erworben worden waren. Die DEA-Direktion ging eher widerstrebend darauf ein, erkannte dann aber bald die sich bietenden Chancen, was vor allem mit dem Erlass des Bitumengesetzes am 31. August 1938 zusammenhing.
Bei Inkrafttreten des Gesetzes bestehende Schürfrechte sollten spätestens im Juli 1940 erlöschen. Der Termindruck ließ den Firmen nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie erhöhten ihr Erschließungsaktivitäten oder sie veräußerten ihre Schürfrechte. Letztgenanntes strebte der nationalsozialistische Staat an. Das Bitumengesetz zielte auf die Enteignung ausländischer Firmen. Nutznießer waren hauptsächlich die deutschen Erdölkonzerne, wohingegen österreichische Bohrpioniere zumeist das Nachsehen hatten.
DEA schloss Knebelverträge mit van Sickle
Die DEA profitierte von den Vorleistungen des englischen Tiefbohrpioniers Richard Keith van Sickle und schloss mit dessen Firma im Februar 1939 einen Knebelvertrag. Das Unternehmen von van Sickle erhielt ein Darlehen, musste dafür aber sämtliche Freischürfe und Betriebsanlagen verpfänden und die gesamte Ölproduktion komplett an die DEA 15 Prozent unter dem jeweiligen Marktpreis verkaufen. Aus dem Darlehensvertrag zog die DEA einen Gewinn von rund 11 Millionen Reichsmark. Nachdem mehrere Bohrungen auf dem ehemals van Sickle gehörenden Gebiet fündig wurden, stieg die DEA zum wichtigsten Erdölförderer in Österreich auf.
Der Konzern festigte seine Position im Sommer 1939 durch den Erwerb der Raffinerie „Nova“ in Wien-Schwechat von französischen Eigentümern. Die DEA erwarb damit nicht nur die modernste Raffinerie in Österreichs, sondern konnte nunmehr auch mit der Verarbeitung des Rohöls vor Ort beginnen.
Zweifelhafte Aktivitäten in Österreich sorgen für Aufschwung der Erdölsparte
Die Erwerbungen in Österreich waren ausschlaggebend dafür, dass DPAG, „Nova“ und DEA im Frühjahr 1940 fusionierten und dass die Erdölsparte, nachdem sie zwei Jahrzehnte deutlich hinter den Kohlenbetrieben zurückgestanden hatte, nun wieder ins Zentrum der Geschäftspolitik der DEA rückte. Die erneute Hinwendung zum Erdöl war demnach eine Folge der Kriegswirtschaft.
Anfang 1942 initiierte das Reichswirtschaftsministerium die Gründung der Niederdonau Erdöl GmbH, an der die Gewerkschaft Elwerath, Wintershall, Preussag, die Donauchemie AG und die Ammoniakwerke Merseburg (eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der I.G. Farben) beteiligt waren. DEA wollte den frisch gewonnenen Spitzenplatz in der „Ostmark“ behaupten und versuchte diesen auch innerhalb der Niederdonau Erdöl GmbH durch eine fragwürdige Abgrenzung von Freischürfgebieten zu sichern. Das führte bis Kriegsende zu Spannungen zwischen den Eigentümern.
Wichtigster Akteur der DEA für ihre expansionistische Geschäftspolitik war bis zum Herbst 1942 Direktor Karl Große. Als Leiter der Erdölbetriebe der DEA sowie Leiter der Fachgruppe Erdöl war er von Anfang an verantwortlich für das Agieren des Konzerns in der „Ostmark“. Er verfügte über einen größeren Einfluss als die Direktoren der anderen deutschen Ölkonzerne. Große agierte hemdsärmelig und konfliktfreudig.
Einsatz von Zwangsarbeitern in der Raffinerie Ebensee
Im August 1944 wurde die DEA vom Reichswirtschaftsministerium mit der Betriebsführung von „Dachs II“ in Ebensee beauftragt. Es handelte sich um den Bau einer unterirdischen Raffinerie. Die grauenhaften Zustände, unter denen tausende Konzentrationslagerhäftling die unterirdischen Stollen bauten, müssen für alle dortigen DEA-Mitarbeiter tagtäglich zu sehen gewesen sein.
Am 6. Februar 1945 lief der Raffineriebetrieb an. Bis Kriegsende konnten nur noch rund 15.400 Tonnen Rohöl verarbeitet werden. Im Februar 1946 wurde das deutsche Führungspersonal der DEA in Ebensee abgelöst und durch einen österreichischen Treuhänder ersetzt. Die DEA-Führungskräfte kehrten nach Deutschland zurück. Sowohl in Westdeutschland als auch in Österreich konnten die Raffineriefachleute entweder bei ihrem alten Arbeitgeber oder bei anderen Firmen ihre beruflichen Karrieren bruchlos fortsetzen. Dr. Fritz Staiger, zuvor Direktor der Raffinerie „Nova“ und Direktor der Raffinerie Ebensee, übernahm die Leitung der DEA-Raffinerie in Heide und gehörte von 1955 bis 1964 dem DEA-Vorstand an.
Über den Autor
Dr. Rainer Karlsch ist freiberuflicher Wirtschaftshistoriker und war lange am Institut für Zeitgeschichte in München/Berlin tätig. Er veröffentlichte unter anderem die Arbeit „Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859 –1974“ und gilt als Kenner der Geschichte der deutschen Erdölbranche. Karlsch forschte bereits für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, die Technische Sammlung Dresden, die Carl-Zeiss-Stiftung Heidenheim und für die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte.