Vom Kali- zum Mischkonzern Dr. Rainer Karlsch
Ökonomie der Zerstörung. Vom Kali- zum Mischkonzern 1931-1945
Dr. Rainer Karlsch
(Institut für Zeitgeschichte, Berlin/München)
Der Kali-Industrie AG (ab 1929 Wintershall AG) gelang es unter der Leitung von August Rosterg, ihre Position auf dem Inlandsmarkt durch den Abschluss eines Vertrages mit dem Land Thüringen zu verbessern und 1926 auch entscheidenden Einfluss auf das Zustandekommen des deutsch-französischen Kaliabkommens zu nehmen.
Noch stärker als ihre Wettbewerber setzte die Kali-Industrie AG auf die Rationalisierung der Produktion, was 1925 seinen Ausdruck in der Inbetriebnahme des modernsten Kaliwerks der Welt in Merkers fand. Zunehmend wichtiger wurden die Herstellung von Mischdüngern und die Vermarktung von Nebenprodukten der Kaligewinnung, wie Brom, Kieserit, Glaubersalz und Chlormagnesium.
In der Weltwirtschaftskrise (1929-33) konnte sich die Wintershall AG aufgrund ihrer starken Stellung im Kalisyndikat (42-prozentiger Anteil) und der Preisabsprachen mit den französischen Herstellern besser behaupten als die meisten anderen Unternehmen. Rosterg sah weniger die kartellierte Kaliindustrie als vielmehr die gesamte deutsche Wirtschaft und Gesellschaft in existenzieller Gefahr. Er forderte einerseits die Rückkehr zu einem liberalen Wirtschaftssystem, wie es vor dem Ersten Weltkrieg bestanden hatte, wollte andererseits einige der wichtigsten Errungenschaften der Republik abgeschafft und die Gewerkschaften zerschlagen sehen. Die Weimarer Republik hielt er für komplett- gescheitert und befürwortete eine Diktatur. Ihre wirtschaftspolitischen Ideen führten Rosterg und August Diehn, Generaldirektor des Kalisyndikats, Anfang der 1930er-Jahre in eine fatale Nähe zur NSDAP, deren diffuse wirtschaftspolitische Programmatik sie zu beeinflussen hofften.
Hinwendung zum Ölgeschäft
Ab 1931 begann Wintershall, mit der Erdölförderung und -verarbeitung ein neues Geschäftsfeld aufzubauen. Ein Anstoß dafür ging von der Erschließung der Lagerstätte Volkenroda aus. Die Hoffnungen auf weitere größere Erdölfunde in Thüringen erfüllten sich in der Folgezeit allerdings nicht. Als dauerhafter und wirtschaftlich bedeutender erwiesen sich die ebenfalls 1931 erfolgte Übernahme der vom Tiefbohrpionier Anton Raky gegründeten Gewerkschaft Nienhagen, die Beteiligung an der Gewerkschaft Elwerath sowie die Übernahme der Raffinerie Salzbergen. Damit gelang es Wintershall, sich neben DEA, Preussag und Elwerath als neuer Player im Erdölgeschäft zu etablieren.
Um ihre Position in der Mineralölwirtschaft auszubauen und gegen konkurrierende Interessen zu sichern, nutzte Wintershall unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers die bereits zuvor geschaffenen persönlichen Kontakte zu einigen Führungsspitzen des Regimes. Schon 1933/34 begann unter Verletzung des Versailler Vertrages eine Kooperation mit militärischen Stellen. Das Unternehmen stellte stillgelegte Kalischächte für die Einrichtung von Heeresmunitionsanstalten und später auch rüstungswichtige Produktionen zur Verfügung.
Unterstützung der Kriegswirtschaft
Die auf Autarkie und Aufrüstung gerichtete Wirtschaftspolitik des NS-Regimes begünstigte die Ausweitung der Aktivitäten in der Mineralölwirtschaft. Wintershall beteiligte sich über Elwerath am Aufbau bzw. Ausbau von zwei rüstungswichtigen Raffinerien in Misburg und übernahm 1935 das Tankstellennetz der NITAG.
Auch investierte das Unternehmen in die Herstellung von Benzin aus Kohle, zunächst in eine Fischer-Tropsch-Synthese in Castrop-Rauxel und ab 1936 in den Bau eines neuen Werkes in Lützkendorf, das mit unterschiedlichen Verfahren sowohl Kraft- als auch Schmierstoffe herstellen sollte.
Weitere kriegswirtschaftliche Investitionen stellten die Aufnahme einer Leichtmetallproduktion und die Herstellung von hochkonzentrierter Salpetersäure dar. Allerdings erfüllten sich die Hoffnungen Rostergs auf eine „von allen Zwängen befreite Wirtschaft“ nicht. Ganz im Gegenteil. Das NS-Regime unterwarf die Kaliwirtschaft einer immer strengeren Regulierung und drängte auch bei der Produktion von Mineralölen und Leichtmetallen auf höhere, betriebswirtschaftlich nicht gerechtfertigte Investitionen.
Die "Ökonomie der Zerstörung"
Wintershall wurde damit im doppelten Sinne zum Teil der „Ökonomie der Zerstörung“. Zum einen wurden die eigenen Ressourcen zunehmend in den Dienst der Kriegswirtschaft gestellt und trugen damit zum nationalsozialistischen Vernichtungskrieg und zur Besatzungsherrschaft in großen Teilen Europas bei, zum anderen setzte Wintershall ihre eigenen Existenzgrundlagen aufs Spiel. Dies zeigte sich besonders drastisch am Lützkendorfer Beispiel. Wintershall war mit dem Aufbau dieses Werkes technisch-technologisch und organisatorisch völlig überfordert.
An der Ausbeutung von Erdölvorkommen in Polen, Ungarn und in der Ukraine nahm Winterhall gemeinsam und in Abstimmung mit den anderen deutschen Ölkonzernen durch Beteiligungen an mehreren dort tätigen Mineralölgesellschaften teil. Zuvor hatte das Unternehmen Erdölkonzessionen in Österreich erworben und sich an der im Verlaufe des Krieges immer wichtiger werdenden Erdölförderung in der „Ostmark“ beteiligt.
Bei Kriegsende gingen rund 90 Prozent der Produktion sowie alle Auslandsbeteiligungen verloren. Die Produktionsstätten der Wintershall in der Sowjetischen Besatzungszone wurden enteignet.
Zur Person
Dr. Rainer Karlsch war Wirtschaftshistoriker am Institut für Zeitgeschichte in Berlin/München. Er veröffentlichte unter anderem die Arbeit „Faktor Öl. Die Mineralölwirtschaft in Deutschland 1859 –1974“ und gilt als Kenner der Geschichte der deutschen Erdölbranche. Karlsch forschte als freier Publizist und Autor bereits für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, die Technische Sammlung Dresden, die Carl-Zeiss-Stiftung Heidenheim und für die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG).