Verflechtung von Wirtschaft und Politik Dr. Karsten Linne
„Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Staat die Entwicklung auf dem Mineralölgebiet der privaten Wirtschaft nicht allein überlassen kann.“ Die Gründung der Kontinentalen Öl AG
Dr. Karsten Linne
(Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur)
Ernst Rudolf Fischer, Leiter der Mineralölabteilung im Reichswirtschaftsministerium und IG Farben-Manager, machte sich im September 1940 Gedanken darüber, wie die im Kriegsverlauf in deutschen Besitz gelangten und die in Zukunft noch gelangenden ausländischen Erdölunternehmen im Sinne des Reichs übernommen und genutzt werden konnten. Er kam zu dem Schluss: „Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Staat die Entwicklung auf dem Mineralölgebiet der privaten Wirtschaft nicht allein überlassen kann.“ Fischer träumte von der Bildung eines staatlich kontrollierten, vertikal integrierten Ölkonzerns, der ebenbürtig neben der internationalen Konkurrenz von Firmen wie Standard Oil und Shell bestehen konnte.
Das für die Erschließung von Erdölfeldern, die Verarbeitung des Öls, dessen Transport sowie die Forschung notwendige Kapital überstieg jedoch die finanziellen Möglichkeiten der kleineren und mittleren deutschen Erdölfirmen. Deshalb sollte eine staatlich kontrollierte Gesellschaft gegründet werden, die auf Personal und Know-how der großen privaten Mineralölfirmen zurückgreifen konnte. Anfang November 1940 teilte Reichsmarschall Hermann Göring dem Leiter des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamts, General Georg Thomas ,mit, „dass er eine zentrale Treibstoffgesellschaft gründen wolle, die den Aufkauf und die Verwertung aller in Zentraleuropa liegenden Treibstoffvorkommen betreiben will. Die Gesellschaft soll privatwirtschaftlich durch die Industrie aufgezogen werden, Majorität soll aber beim Reich liegen.“ Ihr Name: Kontinentale Öl AG.
Neue Gesellschaft sollte ausländische Erdölvorkommen ausbeuten
Im „Altreich“ waren keine Bohrungen vorgesehen, aber im Ausland sollte ihre Betätigung in jeder Erdölsparte möglich sein können. Diese Abgrenzung entsprach einer mit der privaten Erdölindustrie (Gewerkschaft Elwerath, DEA, Wintershall AG und Preussag) getroffenen Abrede. Die genannten Produktionsgesellschaften sollten ihre deutschen Bohrungen und Betriebe in eigener Regie fortsetzen. Ihre ausländischen Beteiligungen sollten in privater Hand bleiben, Neuerwerbungen jedoch nur in Absprache mit dem neuen Unternehmen erfolgen.
Die vier Erdölfirmen übernahmen zwölf Millionen Reichsmark (RM) des Stammkapitals, weitere 30 Millionen RM trug die eigens zu diesem Zweck gegründete staatliche „Borussia Beteiligungsgesellschaft mbH“. Dazu traten die Braunkohle- und die Steinkohleindustrie mit zusammen acht Millionen RM. Diese insgesamt 50 Millionen RM Stammaktien erhielten ein 50faches Stimmrecht, so dass sie selbst bei einer immensen Kapitalaufstockung stets die Führung behielten, insbesondere natürlich der Staat, dank der Borussia.
Staat wollte Aktivitäten der privaten Erdölfirmen lenken
Um die staatliche Lenkung der Gesellschaft zu sichern, fungierte Reichswirtschaftsminister Walther Funk als Aufsichtsratsvorsitzer. Dem repräsentativ zusammengesetzten Aufsichtsrat gehörten Vertreter aller „vier Machtsäulen“ (Franz Neumann) des NS-Regimes an – also der Partei, der Bürokratie, der Industrie und der Armee. Die Gründungssitzung der neuen Gesellschaft fand am 27. März 1941 im Sitzungssaal des Preußenhauses in Berlin statt. Als Vertreter der Erdölfirmen nahmen von Seiten der DEA Direktor Karl Schirner als Vorsitzer des Vorstands und Bergassessor a.D. Albert Ritter als Vorstandsmitglied teil.
Zur Frage der freiwilligen bzw. zwangsweisen Beteiligung der deutschen Erdölindustrie an der Kontinentalen Öl AG, die zweifellos von entscheidender Bedeutung ist, lassen sich leider nur sehr wenige Hinweise finden. Immerhin waren Vertreter der Erdölfirmen von Anfang an in die Gründung der neuen Gesellschaft eingebunden. So konnte Hans Brochhaus von der Gewerkschaft Elwerath nach Gesprächen mit Staatssekretär Erich Neumann Anfang 1940 einigermaßen beruhigt notieren, dass sie als Holdinggesellschaft zum Ausbau der deutschen Mineralölwirtschaft gedacht sei. Die Rechte der Erdölfirmen in Jugoslawien, Ungarn und der Slowakei sollten von der neuen Gesellschaft nicht berührt werden.
Die Vertreter der Erdölfirmen hielten „eine Beteiligung an dieser vom Reich beherrschten Gesellschaft für die einzelnen Gesellschaften, privatwirtschaftlich gesehen“ für wenig interessant. Offensichtlich gab es später auch immer wieder Reibereien. So wies Schirner anlässlich der geplanten Berufung von Karl Große von der DEA für den Vorsitz im Vorstand der Karpathen Öl AG „auf die bisher wenig befriedigende Zusammenarbeit mit der Kontinentalen Öl A.G.“ hin.
Erdölfirmen hofften auf Anteile an der Kriegsbeute
Trotzdem erhielten sich die Erdölfirmen ihre Hoffnungen auf eine spätere Beteiligung an der Kriegsbeute und forderten noch zwei Monate vor dem beginnenden Rückzug der deutschen Truppen aus dem Kaukasus als „Ausgleich für den Raubbau und den fehlenden Aufschluss in Deutschland eine unternehmerische Tätigkeit im Kaukasus zur gegebenen Zeit“.
Zweifellos hat Rainer Karlsch Recht, wenn er die Gründung der Kontinentalen Öl AG als „einen Bruch in der Geschichte der deutschen Mineralölwirtschaft“ bezeichnet. Zum ersten Mal nahm der Staat – allerdings in einer ohnehin staatsnahen Branche – die Sache selber in die Hand. Festzuhalten bleibt aber, dass sich die private deutsche Erdölindustrie, also auch die DEA und die Wintershall AG, vergleichsweise reibungslos in dieses Unternehmen einfügten, sich an ihm finanziell, personell sowie durch ihr Know-how beteiligten und so von der militärischen und wirtschaftlichen Expansion des NS-Regimes während des Zweiten Weltkriegs, inklusive der Ausbeutung der besetzten Länder und der Beschäftigung von Zwangsarbeitern, profitierten.
Zur Person
Dr. Karsten Linne arbeitet bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Forschung und Kultur. Nach dem Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen promovierte er in Bremen in Neuerer Geschichte. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Nationalsozialismus, Kolonialgeschichte und Entwicklungspolitik. Sein aktuelles Projekt beschäftigt sich mit der Gründung der Kontinentale Öl Aktiengesellschaft und deren Rolle und Funktion im NS-System.