Die Verstrickung der Vorstände Apl. Prof. Dr. Ingo Köhler

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Wintershall Dea History NS Zeiten Verstrickung Vorstände
Wintershall Dea History NS Zeiten Verstrickung Vorstände
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Wintershall Dea

Historische Zeichnung von Wintershall-Generaldirektor August Rosterg (1870-1945), undatiert.

Zwischen Opportunismus und Pragmatismus. Die Verstrickung der Wintershall AG und ihrer Vorstände mit dem Nationalsozialismus

Apl. Prof. Dr. Ingo Köhler, 
Hessisches Wirtschaftsarchiv, Darmstadt

Unternehmensgeschichte als Erinnerungskultur

Das Erinnern an die Folgen von persönlicher Diskriminierung und Verfolgung, von Zwangsarbeit, Ausbeutung und Beraubung gibt den Opfern Gesicht und Stimme. Umso mehr die Generation der Betroffenen langsam verschwindet, gilt es, dem Vergessen entgegenzuwirken. Ihre Geschichte weiterzutragen, ist eine Frage des gebührenden Respekts und der taktvollen Pietät.

Noch wertvoller wird die Selbsterkenntnis über die Rolle des eigenen Unternehmens im NS allerdings, wenn sie nicht nur rückwärtsgewandt als mahnender Zeigefinger der Vergangenheit aufgefasst wird. Aus der historischen Verantwortung kann eine zukunftsorientierte Erinnerungskultur im Unternehmen erwachsen, die sich den Werten von Demokratie, Vielfalt und Miteinander versichert und verschreibt. Gerade angesichts der historischen Selbstvergessenheit, die manche gesellschaftlichen Debatten heute wieder prägt, kommt den Lehren aus der eigenen Unternehmensgeschichte eine kostbare identitätsstiftende Bedeutung zu.

Die Wintershall AG verstrickte sich in der Zeit des Nationalsozialismus tief mit den Machenschaften des Unrechtsregimes. Sich dieser historischen Verantwortung zu stellen, besitzt auch für das heutige Unternehmen eine wichtige Bedeutung.

 

August Rosterg: Ein berechnender Kooperationspartner des NS-Regimes

Eine Schlüsselrolle in der Verbindung zwischen der Wintershall AG und dem NS-Regime kommt dem Generaldirektor August Rosterg (1870-1945) zu. 

Der westfälische Ingenieur lenkte die Geschicke des Unternehmens bereits seit 1916 mit großem Erfolg. Er war ein autoritärer Patriarch und im Kern konservativer Unternehmer. Die Weimarer Republik lehnte Rosterg ab, da er die Wirtschaftspolitik zu sehr von der politischen Linken und starken Gewerkschaften geprägt sah, die mit ihren übertriebenen Lohn- und Arbeitszeitforderungen den Erfolg seines Unternehmens bedrohen würden. Der Generaldirektor wünschte sich einen starken Staat, der das deutsche Kalisyndikat gegenüber ausländischen Wettbewerbern schützen, den Firmen zugleich möglichst große Handlungsfreiheiten zusichern sollte.

Es waren diese reaktionären, antidemokratischen Überzeugungen, gepaart mit geschäftlichem Opportunismus, die Rosterg motivierten, die Nationalsozialisten schon seit 1931 auf ihrem Weg zur Machterlangung zu unterstützen. Der Wintershall-Vorstand zählte damit zu den frühen Förderern des NS. Gemeinsam mit Günther Quandt, dem Großeigner und Aufsichtsratsvorsitzenden der Wintershall, und anderen Industriellen traf er schon vor 1933 mehrfach persönlich mit Adolf Hitler zusammen, um den zukünftigen Wirtschaftskurs zu besprechen. Im Frühjahr 1932 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des sog. „Keppler-Kreises“ und versorgte die NS-Bewegung vor und nach der Machterlangung mit großzügigen Spenden. Über den „Freundeskreis Reichsführer SS“ trat er 1935/36 in persönlichen Kontakt mit Heinrich Himmler und begann, auch die weltanschaulichen und parteipolizeilichen Projekte der SS finanziell zu fördern.

Dabei war sein Verhalten weniger durch eine ideologische Nähe zu den Regimezielen als vielmehr vom schlichten Pragmatismus geprägt, geschäftlich von der Kriegswirtschaft und den Autarkieplänen zu profitieren. So geriet er bei dem Versuch, die innere Organisation des Konzerns vor dem Einfluss von DAF-Funktionären und Parteibuchkarrieristen frei zu halten, durchaus auch in Konflikte zur NS-Parteibasis. Seine Taktik, sich durch finanzielle Begünstigungen geschäftliche und politische Protektion zu erkaufen, ging letztlich kaum auf.

Der Wintershall-Vorstand agierte als Mitwisser und Förderer des NS-Systems, was ihn immer tiefer in seine Strukturen von Raub und Verfolgung hineinzog.

 

Geschäfte mit der Verfolgung: Wintershall und die „Arisierung“ der Wirtschaft

Die Mischung aus Distanz und Nähe zum Regime zeigt sich auch bei der Mitwirkung von Wintershall bei der Verdrängung jüdischer Unternehmer aus der deutschen Wirtschaft. 

In den eigenen Gremien hielt Wintershall noch bis Sommer 1935, d. h. im Vergleich zu anderen Branchenunternehmen recht lange, an jüdischen Mandatsträgern fest, mit denen Rosterg seit Langem geschäftliche und persönliche Beziehungen pflegte. Erst als der politische Druck zu groß wurde und geschäftliche Sanktionen drohten, wurde die Demission umgesetzt. Gegenüber außerhalb des Unternehmens stehenden jüdischen Unternehmern zeigte man weniger Skrupel. Bei der Übernahme der Burbach AG wurden Abfindungsforderungen jüdischer Bankiers mit politischer Unterstützung negiert. Wintershall nutzte den Verfolgungsdruck des NS stillschweigend zum eigenen Vorteil.

Eine weitaus aktivere Rolle zeigte der Vorstand bei der „Arisierung“ der Anhaltischen Kohlenwerke und der Werden-Weißenfelser Braunkohlen AG aus dem Besitz des jüdischen Julius-Petschek-Konzerns. Mit dem Argument, man müsse die deutschen Rohstoffe in deutsche Hände überführen, versuchte Rosterg Mitte 1937 seine Kontakte zum NS spielen zu lassen, um die Petschek-Gruben übernehmen zu können. Bereits sein Kaufangebot an die jüdischen Besitzer lag deutlich unter dem eigentlichen Wert. Als sich in der Folge die IG Farben und vor allem der Flick-Konzern im Auftrag der Vierjahresplanbehörde unter Hermann Göring in die Verhandlungen einschaltete, wurde der Verkaufspreis nochmals drastisch herabgesenkt.

Rosterg und Wintershall profitierten eher passiv, da sie sich nicht selbst an der Verfolgung der Inhaber beteiligten, wohl aber den von Flick und der NS-Behörde ausgeübten Druck ausnutzten, um zu einem äußerst vorteilhaften Geschäftsabschluss zu kommen. Der jüdische Besitz wurde schließlich zwischen den deutschen Interessenten aufgeteilt. Die Wintershall AG war somit Nutznießer und williger Profiteur der Judenverfolgung.

 

Immer dabei: Wintershall und die Feldzüge im besetzten Europa

Ein wichtiger Mitspieler war Wintershall auch bei der Ausbeutung der Ölvorkommen der sog. Besetzten Gebiete in Mittel- und Osteuropa während des Zweiten Weltkrieges. Der private Konzern engagierte sich mit Unterbeteiligungen an der Kontinentale Öl AG und den Beskiden Erdölverarbeitungs- und Gewinnungsgesellschaften (ab 1942: Karpaten Öl AG), die im Auftrag des NS-Regimes einen kolonialistischen Raubzug durch die Ölvorkommen im Kaukasus, im Baltikum, in der Sowjetunion und im polnischen Galizien vollzogen.

Wintershall agierte in diesen staatlich dominierten Dachgesellschaften gemeinsam mit weiteren Partnern der deutschen Mineralölindustrie. Das Unternehmen wurde zum Erfüllungsgehilfen einer Rohstoffstrategie, die zur Sicherstellung der Versorgung der Wehrmacht nicht nur keine Rücksicht auf bestehende Besitz- und Schürfrechte Hunderter ausländischer Förderunternehmen nahm.

Zugleich involvierte dieses schmutzige Geschäft den Konzern in die Ausbeutung, die Qualen und Leiden Tausender Fremd- und Zwangsarbeiter, die unter unmenschlichen Bedingungen in den deutschen Werken arbeiten mussten. Dass die Wintershall AG hiermit als durchaus typisches Beispiel der Mechanismen der Verstrickung zwischen Unternehmen und Regime gelten kann, mindert nicht ihre individuelle Schuld und Verantwortung.

Wintershall Dea Historical Congress Speaker Koehler
Wintershall Dea Historical Congress Speaker Koehler
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Wintershall Dea/Bernd Schoelzchen

Zur Person

Apl. Prof. Dr. Ingo Köhler ist deutscher Wirtschaftshistoriker und leitet seit 2021 das Hessische Wirtschaftsarchiv. Von 2019 bis 2021 war er Assistent der Koordination des DFG-Schwerpunktprogrammes „Erfahrungen und Erwartungen. Historische Grundlagen ökonomischen Handelns“ an der Humboldt-Universität Berlin. Zuvor war er seit 2016 Leiter der DFG-geförderten Forschungsstelle „Profis der Prognose: Marktforschung als Grundlage unternehmerischer Erwartungsbildung in Deutschland und den USA nach 1945“ an der Universität Göttingen. 2003 promovierte er mit der seitdem mehrfach ausgezeichneten Arbeit „Die Arisierung jüdischer Privatbanken im Nationalsozialismus (1933-1939) und die Frage der Wiedergutmachung“.